March 6, 2012

Kohle scheffeln im Outback

Von der Uni zum großen Geld: Für ein Monatsgehalt von 8000 Euro heuert Geologiestudent Georg Gastig mitten im Outback in einer Mine an. Doch dort ist nicht nur die Bezahlung überwältigend - auch der Dreck, die Hitze und die Einsamkeit.

Dass er so schnell vom Studenten zum Top-Verdiener aufsteigen würde, hätte Georg Gastig*, 31, nicht gedacht. Wo findet man als deutscher Geowissenschaftler schon einen gut bezahlten Job? Sein Tutor an der Universität Bristol wusste die Antwort: In einer Mine am anderen Ende der Welt.

Wenige Wochen nach dem Gespräch mit seinem Tutor saß Gastig im Flieger nach Australien, auf Einladung eines australischen Bergbauunternehmens. Das Angebot: Eine Trainee-Stelle als Ingenieur. Befristet auf drei Jahre, Einstiegsgehalt 130.000 Australische Dollar (103.000 Euro). Gastig sagte sofort zu.

Vier Wochen nach seinem ersten Besuch hatte er ein Visum im Pass, einen Arbeitsvertrag und eine Wohnung in Perth. Von dort sind es knapp tausend Kilometer bis nach Yandicoogina, seinem neuen Arbeitsplatz. Die Minenarbeiter werden mit einem Propellerflugzeug eingeflogen, 30 Passagiere passen hinein, zwei Stunden sind sie unterwegs, zwei oder drei Wochen bleiben sie da.

Gastig fing im Sommer an. Es regnete, die Luft war feucht und heiß, die Landschaft grün, beinahe tropisch. Am Flugplatz wartete Adam Lewis, 36, auf den jungen Deutschen. Über Schotterpisten ruckelten die beiden zu der umzäunten Mine mit ihren Tag und Nacht ratternden Maschinen.

Draußen schwitzen, innen frieren

Lewis ist ein studierter Hotelfachmann, ein Quereinsteiger in der Branche. Seinen Job in einem Hotel in Perth hatte er gekündigt, als er feststellte, dass viele seiner Kunden im Monat dreimal so viel verdienten wie er - für die gleiche Anzahl Arbeitsstunden. In einer Mine.

Im australischen Bergbau ist ein Gehalt von mehr als 8000 Euro im Monat nichts Besonderes. Der rasante wirtschaftliche Aufschwung in Ländern wie China, Indien oder Brasilien hat die Nachfrage nach Eisen und Kohle in unbekannte Höhen getrieben - und einige der größten Vorkommen finden sich in der rostroten Erde Australiens. Experten sprechen vom Superboom.

Gastig wurde in der Planung eingesetzt. Sein Arbeitstag startete morgens um 6 Uhr. Nach der Frühbesprechung mit dem Team fuhr er hinaus in die Mine: Rampen planen, Neuaufschlüsse anschauen, die Logistik für den Erztransport organisieren. Spätestens um halb zehn war er wieder im Büro, dann hielt er die Hitze nicht mehr aus.

Unterwegs sein in der Mine heißt schwitzen - und frieren. Immer abwechselnd. 18 Grad sind es im tiefgekühlten Verwaltungsbüro, 38 Grad draußen. Fliegen kriechen über die Lippen, in die Ohren, in die Nase. Im Auto ist es wieder eisig.

Vier Worte für den Feierabend: Bier, Facebook, Pornos, Fitness

Die ganze Mine brummt ununterbrochen. Der Schichtbetrieb kennt keine Pausen. Überall sind Hunderte Tonnen schwere Maschinen am Werk. Die Riesenlaster dröhnen wie sechsspurige Autobahnen.

Über die Schotterpisten der Mine muss man äußerst vorsichtig fahren, die Verkehrsregeln werden streng kontrolliert. Der Funk läuft durchgehend, alle hören mit, jede Fahrt muss angemeldet werden. Wie gut die Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden, ist einer der wichtigsten Gradmesser für Neulinge. Wer zu lax ist, fliegt nach wenigen Verwarnungen.

Gastig verbrachte seine Nachmittage im Bürocontainer, per Video konferierte er mit der zentralen Planungsstelle in Perth: "Ziemlich hightech, die Kommunikation. Lauter Touchscreens und Beamer."

Soziale Kontakte schloss der junge Deutsche meist mit Geologen, Ingenieuren und Managern, die auch in der Mine arbeiteten. Von ihren Einstellungen und Interessen her waren seine Kollegen bunt gemischt: "Ein Querschnitt der australischen Gesellschaft." Die Stimmung unter den Arbeitern sei herb, eher was für stiernackige Schnauzbarttypen, sagt Gastig.

Die Freizeit der Miner bestimmen Bier, Facebook, Pornos, Fitnessübungen. Der Alkohol in der "Wetmess", dem abendlichen Treffpunkt der Arbeiter, ist begrenzt, aus Sicherheitsgründen. Die Arbeiter wohnen direkt neben der Mine in Containern, den "Dongas". Essen gibt es im "Foodhole". Wer Pech hat, muss sich in nahen Städten einmieten für bis zu 2000 Dollar je Woche.

83.000 offene Stellen

Allein für den Bau neuer Minenanlagen und der dazugehörigen Infrastruktur wie Bahnstrecken, Straßen, Hafenanlagen oder Unterkünfte benötigt die australische Baubranche im kommenden Jahr nach Schätzungen der Australian Mines and Metal Association 83.000 neue Arbeitskräfte. Dazu kommen Stellen für rund 30.000 Ingenieure.

Sind die neuen Anlagen fertig, müssten in den kommenden fünf Jahren bis zu 85.000 neue Mitarbeiter für den operativen Betrieb gefunden werden. Wer auf die australischen Web-Seiten großer Bergbauunternehmen wie Rio Tinto oder BHP Billiton geht, findet Hunderte offene Stellen.

"Es gibt großen Bedarf an Projektmanagern, Ingenieuren aller Art und Geologen", sagt Kyla Jones, Leiterin des vor kurzem von der Industrie gestarteten Jobportals Miningoilandgasjobs.com. Auch Lastwagenfahrer, Informatiker, Laboranten oder Mediziner seien gesucht. So dringend, dass Jones einen Twitterfeed aufgesetzt hat zu Werbezwecken.

Geldschein auf dem Lenkrad

Rob, 31, hat Rechnungswesen studiert, an der renommierten Universität Sydney: "Davon hab ich im Vorstellungsgespräch für den Minenjob aber nichts gesagt, das hätte nichts gebracht. Dass ich ganz früher nachts Taxi gefahren bin, das hat sie überzeugt."

Er arbeitet jetzt als Trainee in der Mine, lernt, wie man die riesigen Maschinen bedient. Jahresgehalt 90.000 Australische Dollar, Vertrag für zwölf Monate. Rob hofft auf eine Festanstellung. Seinen Job als Rechnungsprüfer hat er in der Finanzkrise verloren, mit dem Minenjob kann er den Kredit für sein Haus abbezahlen.

Auch Hotelaussteiger Adam Lewis hat in der Rohstoffbranche ganz unten angefangen, er rupfte im Outback für Explorationsteams Büsche aus, trug Sandsäcke durch die sengende Hitze. Seine Schichten dauerten 30 Tage, anschließend gab es zehn Tage frei. Lewis war dennoch zufrieden: "Bereits im ersten Jahr verdiente ich ein Drittel mehr als in meinem alten Job."

Er stieg auf, kam in Bohrungsteams, fuhr Hunderte Tonnen schwere Trucks voll Erz und Geröll. Am Besten gefiel ihm die Planung der Sprengungen. Am wenigsten gefiel ihm sein Lebensrhythmus. Irgendwann klebte er sich einen Geldschein auf das Steuerrad seines Trucks, "damit ich sah, wofür ich es tue". Sein Geld legte Lewis in Aktien und Häuser an. Nach zehn Jahren hatte er genug vom einsamen Leben im Outback, er suchte sich einen Bürojob in Perth.

Guter Lohn, armes Leben

Gastig sagt, er habe seine freien Tage, oft eine Woche am Stück, mit "nichts Vernünftigem" verbracht. Er ging Windsurfen, reiste durchs Land, bastelte an einem alten Segelboot, das er sich gekauft hatte, machte Urlaub auf Bali. Richtig glücklich war er trotzdem nicht: "Der Lohn war gut. Aber mein tägliches Leben war arm."

"Bergbau ist eine Singlewelt", sagt Lewis. Beziehungen litten unter dem An-Aus im 30-Tage-Rhythmus. Die größte Gefahr im australischen Bergbau seien Unfälle auf der Schotterpiste - und die Einsamkeit.

Nun sollen Frauen das Minenleben verbessern. Zurzeit beträgt der Anteil der weiblichen Mitarbeiter nach offiziellen Angaben 16 Prozent. Mit einer neuen Kampagne sollen Frauen in Minenjobs gelockt werden. Geplant sind Kindergärten, leichtere Kost im "Foodhole" und Yoga-Räume im Outback.

Noch heute sind Gastigs Freunde erstaunt, wie lange er es in der Mine aushielt: fünf Jahre. Seit wenigen Monaten ist er wieder zurück. Er hat eine Stelle in Zürich gefunden, überlegt, einen Master of Business Administration zu machen. Das Geld dafür hat er schon.

*Name von der Redaktion geändert

   

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